02/07/2024 0 Kommentare
"Hirtenspuren" im evangelischen Gesangbuch, aufgespürt von Christoph Anders
"Hirtenspuren" im evangelischen Gesangbuch, aufgespürt von Christoph Anders
# Kirchenjahr

"Hirtenspuren" im evangelischen Gesangbuch, aufgespürt von Christoph Anders
Hirtenspuren
Miserikordias Domini 2020
Der zweite Sonntag nach Ostern ist in seinen biblischen Lesungen geprägt vom Leitbild des Guten Hirten. Anlass für eine kleine Hirtenspurensuche in den Liedern des Evangelischen Gesangbuches (EG). Immerhin gut 30 Belegstellen finden sich, wenn die Stichworte „Hirtenvolk“ und „Herde“ mitbedacht werden.
Schon im Advent tauchen die Hirten auf. Jetzt, wo „die gute Zeit nah“ ist, sind auch „Hirt und König“ eingeladen, sich auf das Kommen des Heilands zu freuen (18,2). Dem Volk in der Finsternis wird ein großes Licht angekündigt, und sein endzeitlicher Herrscher wird auch als „der gute Hirt, das Licht der Welt“ (20,5) besungen.
In der Weihnachtsgeschichte sind Hirten fest verankert und spielen in Weihnachtsliedern eine prominente Rolle. Als erste Adressaten der nächtlichen Engelbotschaft – „Hirten erst kundgemacht“ (46,2) - macht sich das Hirtenvolk voll „gar großer Freud“ umgehend auf den Weg: „Lasset uns sehen in Bethlehems Stall“ (48, 2), um dort – redlich wie sie sind (43,3) - anbetend die Knie zu beugen (43,4). Wir als die heute Singenden, sind eingeladen, „mit den Hirten“ in den Stall hineinzugehen. (24,6).
Auch in zwei Passionsliedern wird das Motiv des Hirten prominent aufgenommen: „Der gute Hirte leidet für die Schafe“ (81,4) und soll als „Haupt voll Blut und Wunden“ den das Kreuzesleiden Betrachtenden in dessen eigenem Leiden annehmen (85,5).
In verschiedenen Liedern wird die außerordentliche Prägekraft von Psalm 23 deutlich (EG 274; 386,9, 399,4). Auch Luthers Nachdichtung von Psalm 130 – „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ – endet mit einem, von ihm in den Psalmtext eingetragenen Hinweis auf Gott als den guten Hirten, „der Israel erlösen wird“ (299, 5) aus seinen Sünden. Das Motiv der Sündenvergebung wird auch andernorts aufgenommen, denn „Jesus nimmt die Sünder an“. Und „wenn ein Schaf verloren ist, suchet es der treue Hirt“ (353,3). Jene nicht zerstörbare Gemeinschaft zwischen dem glaubenden Ich und dem Hirten bewährt sich in Angst und Vertrauen (370,11).
Im Tauflied „Liebster Jesu, wir sind hier“ (EG 206,4), wird der Hirte direkt gebeten: „nimm das Schäflein an“. Im Abendmahlsbezug erklingt die Hoffnung, dass durch dieses Mahl „unter einem Hirten eine Herde aus allen werde“ (221,3). Dieses Motiv findet sich auch in der Bitte um Beistand des guten Hirten für das Wachsen der Einheit in der weltweiten Kirche. (265,4).
In den biblischen Bezügen wird das Hirtenbild in prophetischer Rede häufig übertragen auf jene irdischen Herrscher, die das Volk führen: Als gute Hirten leiten sie es auf den Wegen der Gebote Gottes, als falsche Hirten, oder als „Mietlinge“ führen sie es in die Irre. (Hes. 34; Joh. 10,11ff) Diese Motive finden sich in den Liedern des EG nicht.
Faszinierend und überraschend ist der einzige gesungene Hinweis auf reale Hirten abseits der Felder von Bethlehem. In Paul Gerhardts sommerlichem Spaziergang durch irdische Schöpfung und himmlische Sphären – „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ - taucht nur eine Gruppe von Menschen auf: die Hirten. Und in irdischer Parallele zum himmlischen Halleluja der Seraphim klingen die Wiesen wieder vom „Lustgeschrei der Schaf und ihrer Hirten“ (503,5).
Christoph Anders, Pfarrer der Kirchengemeinde Waidmannslust
(Foto: Gemälde von Lukas Cranach dem Jüngeren - Wikipedia / gemeinfrei)
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