Sehnsuchtsort Hafen - Gedanken zum Ferienbeginn

Sehnsuchtsort Hafen - Gedanken zum Ferienbeginn

Sehnsuchtsort Hafen - Gedanken zum Ferienbeginn

# Kirchenjahr

Sehnsuchtsort Hafen - Gedanken zum Ferienbeginn

Häfen – Anlaufpunkt für Reisende, die Küsten und Meere aufsuchen. Klein und romantisch, Orte, wo Fähren ein und auslaufen oder hochmoderne Container-Verladeplätze. Häfen sind Sehnsuchtsorte. Wer in schwerem Wasser unterwegs ist, womöglich in einem unsicheren Boot – der sehnt sich nach einem sicheren Hafen, festem Land. Wer in aller Ruhe im Hafen sitzt, auf einer Kaimauer, die darf träumen von neuen Horizonten, Anker lichten, Segel setzen, hinaus aufs weite Meer. In Häfen kommen Geschichten zusammen, vom Hinausfahren und vom Ankommen. Menschen aus vielen Ländern erzählen und hören von fremden Welten. Oder ist das schon verklärende Hafen-Romantik? Geht es nicht eher um Wirtschaftsleistung, Containerzahlen und Ladezeit?

Wohl jeder/jede von uns wird eine Hafengeschichte kennen. Ich erinnere mich, wie mir als hafenungeübtem Berliner bei der ersten Hafenrundfahrt in Hamburg die Augen aufgegangen sind. Endlose Kaimauern, Hebekräne, Schiffe in allen Größen, Reparaturdocks, spezielle Hafenarchitektur. Die Wirtschaft einer Großstadt, geprägt vom Warenverkehr auf gigantischen Container-Riesen. Alles High-Tech in den Terminals. Auf riesigen Freiflächen bewegen viele Hubwagen bestimmte Container. Alle ohne Menschen, ferngesteuert und programmiert. Sie schaffen in Stunden, wofür viele Männer früher tagelang schuften mussten.

Das Volk Israel war, anders als manche Nachbarn, kein Volk von Seefahrern. Deshalb spielen Häfen im Alten Testament keine zentrale Rolle.* Aber immerhin werden 35 Hafenorte an etwa 100 Stellen erwähnt. Drei erwähne ich kurz: Israels Mittelmeerhafen hieß Jafo. Es war ein wichtiger Handelsplatz für den Warenverkehr, vor allem mit der Hauptstadt Jerusalem, beim Bau von Tempel und Königspalast.  Dort will später Jona abtauchen, findet auf seiner Flucht ein Schiff, bezahlt das einzige biblisch bezeugte Fährticket. Es hilft ihm nicht. Wäre er besser an Land geblieben, das weite Meer wurde zur Katastrophe bis der Fisch ihn rettete. Zur Zeit Jesu hieß der Ort Joppe, und die Apostelgeschichte berichtet von einer dort entstandenen christlichen Gemeinde. Sie setzte sich zusammen aus Menschen, die mit ihrem Gewerbe am Hafen tätig waren.  

Am Rand der damals bekannten Welt, tief im Westen, soll die Hafenstadt Tarsis gelegen haben. Nie genau lokalisiert, vermutlich irgendwo an der Atlantikküste Spaniens. Dort wollte Jona hin, weit weg von Gott. Die Könige von Juda und Israel wollten mit Tarsis Handel treiben, exotische Produkte importieren. Aber dieses hochtrabende Vorhaben schlug fehl, weil auf den Weg dorthin „die Schiffe zerschellen.“ In ferner Zukunft jedoch werden dem erhofften Friedenskönig sogar von diesem legendären Ort „Geschenke gebracht“. Selbst Tarsis, angeblich so „weit weg vom Herrn“, ist dann von Gottes Wort berührt worden.

Am Ende der Apostelgeschichte befindet sich Paulus als Gefangener auf dem Weg nach Rom. Auf der Reise hat er Kontakt mit zwei bekannten Mittelmeerinseln und entsprechenden Häfen: Kreta und Malta.  In Kreta findet die Besatzung einen Ort mit dem schönen Namen „Guthafen“. Sie bleiben dort aber nicht, geraten später in Stürme und Ungewitter, verlieren die Orientierung, bis sie schließlich vor einer anderen Insel auf eine Sandbank auflaufen. In einer dramatischen Rettungsaktion können alle Insassen gerettet werden. Die Schiffbrüchigen erfahren, dass die Insel Malta heißt. Große Überraschung: Die Leute waren schlicht freundlich zu den Geflüchteten, „sie zündeten ein Feuer an und nahmen uns alle auf wegen des Regens, der über uns gekommen war wegen der Kälte“. So der dankbare Paulus. Sie blieben drei Monate auf dieser gastfreundlichen Insel. 

Eine biblische Geschichte mit Happy End. Nach dem Schrecken einer Seereise in Sicherheit auf einer Insel. Seit 2001 ist der Weltflüchtlingstag auf den 20. Juni festgelegt. Das Hochkommissariat für Flüchtlinge will damit darauf aufmerksam machen, dass sich deren Lage dramatisch zugespitzt hat. Im neuesten Bericht ist zu lesen, dass weltweit ungefähr so viele Menschen auf der Flucht sind, wie die Bevölkerung Deutschlands. Wir sehen immer wieder Bilder von Schiffen mit Menschen, die aus dem Meer gerettet wurden, denen die sicheren Häfen gerade nicht geöffnet werden. Die EKD unterstützt mit dem Bündnis United4Rescue die zivile Seenotrettung im Mittelmeer. Immer wieder werden diese Schiffe festgesetzt, oder ihnen wird der Zugang zu Häfen nicht erlaubt. Mitunter müssen an Bord erst Katastrophen ausbrechen, damit Menschen an Land gelassen werden. Stürmisches, weites Meer und sicherer Hafen – das beschreibt auch die dramatische Lage von hunderttausenden geflüchteten Menschen, nicht nur im Mittelmeer.

Die mit diesem Skandal verbundenen Fragen berühren auch den Kern des christlichen Selbstverständnisses. Wie wollen wir uns als Kirchen verhalten zu dem Umstand, dass weiterhin pro Jahr tausende Menschen in den Fluten untergehen, die dem Elend in ihren Heimatländern entfliehen wollen. Auch wenn dieses Thema auch unter uns kontrovers diskutiert wird, als Gemeinden in unserer Region sollten wir überlegen, wie wir diesem Thema einen angemessenen Ort in unserer Arbeit verschaffen können.    

„Von weitem“, so lautet ein Liedtext von Jan Janssen. In der dritten Strophe heißt es: „Seh nur der Sonne Untergang, laufe mich fest in Watt und Tang. Hebt sich der Blick nun auch himmelwärts, was treibt die Sehnsucht in mein Herz? Du ahnst ja den Hafen, es winkt dir ein Land, getrost setze Segel, Gott hält deine Hand. Wenn wir uns in schwerer See befinden, alles grau in grau – dann sollen wir es gerade wagen, Anker zu lichten und Segel zu setzen.  Gott will uns und unser Boot im Sturm und Not halten. Diese Strophe beschreibt uns als Menschen, die sich verheddern und festlaufen können – aber dennoch mit einer Sehnsucht leben. Ermutigend und tröstlich klingt dieses Vertrauenslied. Nach schweren, turbulenten Zeiten wieder zur Ruhe kommen, als einzelne oder auch als Schiff, das sich Gemeinde nennt. Wissen um festes Land, wo wir wieder Tritt fassen können. Dabei klingt auch jenes andere Land an, das uns winkt, wenn unsere Lebensreise ihr Ende findet. Nach Hause kommen, wie in einen erahnten, sicheren Hafen - auch ein Bild für Gottes schützende Gegenwart. 

Jetzt beginnen die Ferienwochen, und ich wünsche uns allen, dass sie schöne Erfahrungen bereithalten. Und vielleicht gibt es ja danach manches zu erzählen, auch von Meer und Hafen.   

Christoph Anders, Pfarrer der Kirchengemeinde Waidmannslust


*Hier greife ich zurück auf einen Aufsatz von Jan Janssen, Seemannspastor in Rotterdam: Handelszentren – Hoffnungsorte. Seefahrt und Landgang in den Häfen der Bibel, in: Lass fallen Anker, Jahresmagazin der Deutschen Seemannsmission, Hamburg 2021, S. 18ff.

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(Foto: pixabay.com)

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