21/10/2024 0 Kommentare
"Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde ..." Gedanken von Ute Sauerbrey
"Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde ..." Gedanken von Ute Sauerbrey
# Kirchenjahr
"Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde ..." Gedanken von Ute Sauerbrey
Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!
Offenbarung 21,1-5
Diese Worte aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, sind mir ans Herz gewachsen wie sonst nur wenige Bibel-Abschnitte. Auf fast jeder Beerdigung lese ich sie – in einer kürzeren Fassung - am offenen Grab. Und ich hoffe, dass der Trost, den ich bei diesen Worten empfinde, sich auf die Trauernden überträgt: Die Gewissheit, dass wir unsere Lieben in eine Welt gehen lassen, wo Tränen, Schmerz und Geschrei ein Ende haben. Wo Gott nebenan wohnt, Tür an Tür mit uns, seinen Menschen. Wo wir nicht mehr verzweifelt „warum“ fragen, sondern erkennen und getröstet sind.
In diesen November-Tagen muss ich sehr häufig auch an eine andere Geschichte denken. Es ist die Geschichte von Frederick – vielleicht kennt die eine oder der andere das wunderbare Bilderbuch von Leo Lionni.
Frederick lebt mit einer großen Mäuse-Sippe in den Ritzen einer alten Feldstein-Mauer. Im Sommer ist das Leben einfach – da gibt es Samen und Nüsse und Körner in Hülle und Fülle. Alle werden satt, und die Mäuse sind nicht dumm: Sie legen im Sommer Vorräte an für den langen Winter, wenn die Nahrung knapp wird.
Die ganze Mäuse-Sippe schleppt unermüdlich Nüsse und Körner in die Vorrats-Kammern tief in der alten Feldsteinmauer.
Nur einer beteiligt sich nicht an dieser Arbeit: Frederick.
Er sitzt auf einem Stein, die Augen geschlossen, und lässt sich die Sonne aufs Mäusefell scheinen. Wenn die anderen ihn fragen, was er macht, antwortet er: Ich sammele die Wärme der Sonne. Oder er sitzt und betrachtet die Schönheit der Blumen, die in allen Farben des Sommers blühen. Die anderen schleppen weiter Nüsse und Körner und schütteln den Kopf. Über den Faulenzer. Den Träumer.
Dann kommt der Winter. Der muss die Mäuse nicht schrecken – sie haben ja Vorräte gesammelt.
Aber der Winter ist lang. Und bitterkalt. Und irgendwann ist die letzte Nuss geknackt, das letzte Korn geknabbert. Dann sitzen die Mäuse im Dunkeln, und es wird ihnen kalt bis ins Herz, und sie haben Angst.
Bis Frederick anfängt zu sprechen.
Frederick erzählt der verängstigen und hungrigen Mäuse-Schar von der Wärme der Sonne. Von den Farben des Sommers. Er tut es auf eine Weise, dass den Frierenden warm ums Herz wird. Dass die Verängstigen Mut schöpfen. Dass die sorgenvollen wieder Freude spüren.
Und so überstehen sie die härteste Zeit des Winters – nicht mit Nüssen und Körnern. Sondern mit einem, der vom Licht inmitten der Dunkelheit erzählt und von der Schönheit im Angesicht von Not und Angst.
Was hat nun das Bilderbuch „Frederick“ zu tun mit der Offenbarung des Johannes?
Beide erzählen davon, wie eine verängstigte, bedrängte Schar Mut findet. Beides sind Trost-Texte. Beides sind apokalyptische Texte.
Wir haben uns angewöhnt, beim Wort „Apokalypse“ an einen schaurigen Weltuntergang mit Feuer und Donner zu denken. Aber so ist Apokalypse nicht gemeint. Die biblische Apokalyptik spendet denen Trost, die in der real existierenden Welt an Kälte, Grausamkeit und Ungerechtigkeit leiden, indem sie ein Hoffnungsbild zeichnet: Diese Welt ist nicht die letzte Welt. Es gibt da eine andere Welt voll Schönheit, voll Gerechtigkeit, ohne Angst und Kälte. Sie mag nicht so greifbar und handfest sein wie Körner, Nüsse und Samen. Aber sie trägt genauso gut oder noch besser durch Zeiten von Dunkelheit und Kälte.
Die Verschwörungs-Theoretiker unserer Tage picken sich gerne die verstörenden Bilder heraus aus der biblischen Apokalyptik. Sie schwadronieren vom Weltuntergang, von dunklen Mächten, die uns bedrohen.
Das könnte daran liegen, dass diese Verschwörungstheoretiker sicher und satt und im Warmen sitzen, während sie so schwadronieren.
Der Seher Johannes aber schrieb an Menschen, die wirklich bedroht waren, wirklich voll Angst ums eigene Leben sein mussten. Und denen schrieb er: Trost. Nicht Ver-Tröstung. Nicht: Irgendwann wird es euch besser gehen. Sondern er schrieb vom Licht inmitten der Dunkelheit, von Gott, der Tür an Tür mit uns wohnt, von Wärme und Schönheit.
Die biblischen Apokalyptiker wollen nicht Angst einjagen, sondern Angst vertreiben. Das unterscheidet sie von den selbsternannten Apokalyptikern unserer Tage. Die biblischen Apokalyptiker und auch Frederick, die Maus, können von Wärme und Schönheit sprechen auf eine Weise, dass die Verängstigten Mut schöpfen. Dass die Gebeugten sich aufrichten. Dass den frierenden warm wird. Nicht irgendwann. Sondern jetzt.
Vielleicht gelingt es uns, in unseren Gemeinden auch solche Worte zu finden.
Die die Wirklichkeit nicht beschönigen, aber sie auch nicht absolut setzen. Nicht Angst schüren, sondern Angst nehmen. Nicht vertrösten, sondern trösten. Den Mangel nicht leugnen und dennoch von dem sprechen, was uns hält und wärmt und Mut macht.
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